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Selbstverst\u00e4ndlich war das nicht. Nach seinem Weggang 2002 hat Kupfer das Haus fast zwei Dekaden lang gemieden. Mit den sinnlichen, manchmal auch bewusst unernsten Opernausdeutungen von Intendant Andreas Homoki fremdelte er, besser verstand er sich offenbar mit Homokis Nachfolger Barrie Kosky.\n\nIm M\u00e4rz 2019 kehrte Kupfer zur\u00fcck, mit einem weithin unbekannten St\u00fcck, das er freilich schon inszenieren wollte, seit er es 1956 zum ersten Mal gesehen hatte: H\u00e4ndels \u201ePoros\u201c, ein Kammerspiel f\u00fcr sechs S\u00e4ngerinnen und S\u00e4nger. Es geht um den Indienfeldzug Alexander des Gro\u00dfen, um die Ankunft und den Einbruch des Fremden in Gestalt des Makedonenherrschers, den der titelgebende indische K\u00f6nig Poros nicht nur als Feldherr, sondern auch als Konkurrent um die Gunst der Geliebten f\u00fcrchtet.\n\nNat\u00fcrlich hat Kupfer das nicht als antikes Federschmuck-Drama inszeniert, sondern in eine andere Zeit verlegt. \u201ePoros\u201c spielt bei ihm im Urauff\u00fchrungsjahr der Oper, 1731, und Alexander ist hier ein britischer Sir, der im Auftrag der East Indian Company unterwegs ist und Handelsbeziehungen kn\u00fcpfen soll.\n\nNie kulinarisches, harmloses Musiktheater\n\nDa war sie wieder: die Kupfersche Regisseurspranke, die die St\u00fccke weder als heiteres, kulinarisches, harmloses Musiktheater durchwinken noch ihnen auf Biegen und Brechen ein Konzept, eine Meta-Ebene \u00fcberst\u00fclpen will. Sondern die ihre \u00c4sthetik aus dem Werk heraus entwickelt, als Resultat tiefer Besch\u00e4ftigung mit Partitur und Libretto, konkret und, ja: realistisch.\n\nDer Ahnvater solchen Arbeitens war nat\u00fcrlich der \u00d6sterreicher Walter Felsenstein, Gr\u00fcnder der Komischen Oper und einer der wichtigsten Lehrer f\u00fcr den 1935 in Berlin geborenen Harry Kupfer. Felsenstein benutzte nie den Begriff Oper, f\u00fcr ihn war das, was da auf der B\u00fchne passierte, Theater, Musiktheater, und die S\u00e4ngerinnen und S\u00e4nger selbstverst\u00e4ndlich immer auch: Schauspieler.\n\nDie Nachvollziehbarkeit des Geschehens, seine Verankerung in einer st\u00fcckimmanenten Logik, vor allem auch die Menschlichkeit der Stoffe, die Gesten, die Kommunikation untereinander \u2013 sie waren f\u00fcr Felsenstein wie dann auch f\u00fcr Kupfer elementar und wesentlich, an ihnen arbeiteten, schliffen beide unerm\u00fcdlich. Bei Kupfer stand niemand einfach nur herum, sich selbst und der eigenen Initiative \u00fcberlassen, alle Beteiligten wussten, was sie gerade taten und warum. Das ging weit \u00fcber die \u00fcbliche Personenf\u00fchrung hinaus. Und weil es so fein gearbeitet war, entstand daraus eine Glaubw\u00fcrdigkeit, die sich immer wieder auch dem Publikum vermittelte.\n\nOchsentour durch die gro\u00dfen DDR-H\u00e4user\n\nIn der DDR hat Kupfer eine regelrechte Nord-S\u00fcd-Ochsentour durch die Provinz hingelegt: Studium der Theaterwissenschaften mit 18 Jahren in Leipzig, dann Regieassistent ein paar Kilometer weiter in Halle, Oberspielleiter in Stralsund, sp\u00e4ter in Karl-Marx-Stadt, Operndirektor in Weimar, dann in Dresden. Sein Ruhm wuchs, auch beim Klassenfeind, 1978 folgte die erste Einladung nach Bayreuth mit dem \u201eFliegenden Holl\u00e4nder\u201c. Kupfer inszenierte oft im Ausland, der DDR den R\u00fccken zu kehren w\u00e4re ihm trotzdem nicht in den Sinn gekommen. Zu sehr hatte er das Gef\u00fchl, als K\u00fcnstler zu Hause gebraucht zu werden. Bayreuth wurde ihm 1981 zum T\u00fcr\u00f6ffner f\u00fcr die R\u00fcckkehr nach Berlin, in die Hauptstadt, auf den begehrtesten Posten, den ein Regisseur in der DDR bekommen konnte: Chefregisseur der Komischen Oper, Felsensteins Haus.\n\nSo begann die Sattelzeit in Harry Kupfers Biografie, jene 21 Jahre, in denen er Stil und \u00c4sthetik des Hauses an der Behrenstra\u00dfe pr\u00e4gte, immer wieder mit seinem langj\u00e4hrigen k\u00fcnstlerischen Partner, dem \u00f6sterreichischen B\u00fchnenbildner Hans Schavernoch, der eine ausgepr\u00e4gte Vorliebe f\u00fcr Silber und Grau besitzt.\n\nKupfers Wirken vollzog sich in bemerkenswerter Parallelit\u00e4t zu dem seines Antipoden G\u00f6tz Friedrich in West-Berlin an der Deutschen Oper. Auch er war ein Felsenstein-Sch\u00fcler, im Gegensatz zu Kupfer aber Chefregisseur und inszenierender Intendant in Personalunion. Die \u00c4ra der beiden begann und endete fast gleichzeitig, Friedrich starb 2000 im Amt, Kupfer verabschiedete sich 2002 mit einer in ihrem bitteren Realismus nachhaltig im Ged\u00e4chtnis bleibenden, mit dem Bayerischen Theaterpreis ausgezeichneten Inszenierung von Brittens \u201eThe Turn of The Screw\u201c von der Komischen Oper. Um im letzten Drittel seines Lebens \u00fcberall zu arbeiten: in Wien, Salzburg, Barcelona, Mailand.\n\n1988 beginnt die Zusammenarbeit mit Barenboim\n\nUnd nat\u00fcrlich auch in Berlin, an dem Haus, das schon w\u00e4hrend seiner Zeit an der Komischen Oper zweite k\u00fcnstlerische Heimat f\u00fcr ihn wurde: der Staatsoper. Die Zusammenarbeit mit Daniel Barenboim begann 1988 in Bayreuth, wo Kupfer den \u201eRing\u201c inszenierte, mit nebeldurchzogenen Feldern und schlotternden, in Fetzen gewandeten Gestalten als Kulisse f\u00fcr den Walk\u00fcrenritt und einer zerborstenen Betonburg als Kindheitskrippe f\u00fcr Siegfried.\n\nR\u00fcckw\u00e4rts, beginnend mit \u201eParsifal\u201c, brachte Kupfer dann auch an der Lindenoper s\u00e4mtliche Werke Wagners auf die B\u00fchne. Im Sommer 2018 inszenierte Kupfer an der Staatsoper Verdis \u201eMacbeth\u201c mit Anna Netrebko und einem damals noch nicht von MeToo-Vorw\u00fcrfen ersch\u00fctterten Placido Domingo. Man hatte sich, auch das wurde deutlich, inzwischen etwas sattgesehen an Kupfers Stil.\n\nUnd noch ein zweiter Strang zog sich durch das letzte Lebensdrittel Kupfers: Er inszenierte auch kommerzielles Musiktheater, Musicals. \u201eElisabeth\u201c etwa, ein St\u00fcck \u00fcber die zur Sissi verkitschte \u00f6sterreichische Kaiserin, brachte er 1992 im Theater an der Wien zur Urauff\u00fchrung.\n\nMusicals reizen ihn nur an der obersten Qualit\u00e4tsgrenze\n\nZur Wiederaufnahme einer \u00fcberarbeiteten Fassung 2008 im Berliner Theater des Westens schrieb der Tagesspiegel: \u201eKupfer spricht z\u00fcgig und bestimmt, wenn man ihn etwas fragt, kommen die Antworten wie aus der Pistole geschossen, und sie enthalten kein \u00fcberfl\u00fcssiges Wort.\u201c Musical w\u00fcrde ihn nur reizen, erkl\u00e4rte er, wenn es die oberste Qualit\u00e4tsgrenze zumindest streife: \u201eEs gibt so viele Musicals, die brauchen gar keinen Regisseur, das kann ein Choreograf machen, die Leute gehen nur hin, um bestimmte Nummern zu h\u00f6ren. Wenn die Geschichte nicht aufregend und kritisch ist, im Sozialen, Politischen oder Menschlichen, dann hat es f\u00fcr mich keinen Sinn.\u201c\n\nMehr zum Thema Harry Kupfer zum 80. Geburtstag Die Kunst ist seine Heimat\n\nDamit hat er sein k\u00fcnstlerisches und handwerkliches Credo so knapp wie m\u00f6glich zusammengefasst. Harry Kupfers detailgetreues Arbeiten wird Vorbild bleiben und weiterentwickelt werden, von anderen, j\u00fcngeren Regisseuren und Regisseurinnen des Musiktheaters. \u201eSeine au\u00dferordentlichen k\u00fcnstlerischen Instinkte, sein virtuoses Regiehandwerk, seine leidenschaftliche Art zu kommunizieren, seine gro\u00dfe Liebe zu Detail und Rhythmus und nicht zuletzt sein einzigartiger, wunderbarer Humor machten ihn zu einem der au\u00dfergew\u00f6hnlichsten und einflussreichsten Musiktheater-Regisseure der vergangenen 60 Jahre\u201c, sagt Barrie Kosky.\n\nAm vergangenen Montag ist Harry Kupfer mit 84 Jahren gestorben. In Berlin, seiner Geburtsstadt.", "keywords": [], "meta_keywords": [""], "tags": [], "authors": ["Udo Badelt", "Frederik Hanssen"], "publish_date": "Wed Jan 1 18:41:14 2020", "summary": "", "article_html": "", "meta_description": "Kritisch und detailgenau und immer aus dem Werk heraus interpretiert: Zum Tod des gro\u00dfen Regisseurs Harry Kupfer.", "meta_lang": "de", "meta_favicon": "/images/apple-touch-icon/9800138/2-formatOriginal.png", "meta_data": {"page-topic": "Medien, Kultur, Gesellschaft", "description": "Kritisch und detailgenau und immer aus dem Werk heraus interpretiert: Zum Tod des gro\u00dfen Regisseurs Harry Kupfer.", "robots": "index, follow, noarchive, noodp", "og": {"title": "Feingeist mit unverkennbarer Regiepranke", "type": "article", "image": "https://www.tagesspiegel.de/images/heprodimagesfotos86120200102hkuper_471_1_2020010111100072-jpg/25380540/3-format530.jpg", "url": "https://www.tagesspiegel.de/kultur/nachruf-auf-harry-kupfer-feingeist-mit-unverkennbarer-regiepranke/25380542.html", "description": "Kritisch und detailgenau und immer aus dem Werk heraus interpretiert: Zum Tod des gro\u00dfen Regisseurs Harry Kupfer."}, "article": {"publisher": "https://www.facebook.com/tagesspiegel"}, "baseUrl": "/", "fb": {"admins": "705881063,714225842,1050947879", "page_id": 59381221492, "pages": 59381221492}, "msvalidate.01": "1E3CA20685184916F462A58091526719", "google-site-verification": "xwYiXDvBsBKyDJ_9ZDAUw-1z1r2YKuwaVJQ01qZdUbY", "verification": "e128da0442d60a0b1a06b9700c5b8bb1", "pocket-site-verification": "d626bf3fbffe9a35cf77733da81fed", "twitter": {"card": "summary_large_image", "site": "@tagesspiegel", "title": "Feingeist mit unverkennbarer Regiepranke", "description": "Kritisch und detailgenau und immer aus dem Werk heraus interpretiert: Zum Tod des gro\u00dfen Regisseurs Harry Kupfer.", "image": "https://www.tagesspiegel.de/images/heprodimagesfotos86120200102hkuper_471_1_2020010111100072-jpg/25380540/3-format3003.jpg"}}, "canonical_link": "https://www.tagesspiegel.de/kultur/nachruf-auf-harry-kupfer-feingeist-mit-unverkennbarer-regiepranke/25380542.html"}